Montag, 14. März 2016

Ich bin dann mal 'nen Koran kaufen

Hallo, ich bin Sarah und ich liebe Theatralik, Humor und habe den Hang vieles zu dramatisieren. Zugleich bin ich aber auch ein sehr feinfühliger Mensch, mit ziemlich viel Liebe im Herzen. Manchmal finde ich nicht die richtigen Worte um Sachen beschreiben zu können. Doch wenn es jemandem mal wie mir geht und die Worte fehlen, kann ich sie spüren. Ich bin 28 Jahre jung. Und stecke sehr wahrscheinlich seit 13 Jahren in einer Midlife Crisis. Mama gibt dieser Zeitspanne Begriffe wie „Pubertät“ oder „Persönlichkeitsentwicklung“.
Zwischen Krankheitsbewältigungen, Gewichtszu- und abnahmen, Traumata, emotionalen Katastrophen, aber auch der Hang vieles mit Humor sehen zu dürfen- irgendwo da hat sich eine Persönlichkeit entwickelt. Eine Persönlichkeit, die sich oftmals viele Fragen stellt. Fragen, die ihr mit Sicherheit auch sehr gut kennt:
„Warum passiert mir das alles?“
„Warum bin ich gerade hier und fühle mich so unglücklich?“
„Warum komme ich innerlich nicht zur Ruhe?“
„Warum? Warum? Warum?“
Also, liebes Leben. Warum darf gerade ich diese Zeilen hier schreiben und bin ziemlich dankbar dafür? I try to explain:
Mein Vater kam in den 80-iger Jahren als Flüchtling nach Deutschland. In dieser Zeit herrschte gerade der erste Golfkrieg. Das Schicksal schlug zu und mein Vater lernte meine Mutter kennen. Hier beginnt der Anfang. Also mein Anfang. Oder beginnt dieser schon viel eher?
Wie oft habe ich mir ersehnt, dass ich im Iran geboren wäre, um bei meiner Familie sein zu dürfen? Diese Wärme zu spüren, den Zusammenhalt, FAMILIE zu erfahren, gemeinsam zu lachen und zu weinen. In einer Gruppe aufzuwachsen, die durch dick und dünn geht. Mein Vater, der noch sechs weitere Geschwister hat, schaffte es als Einziger zu flüchten. Und so sind mein Bruder und ich die einzigen Kinder, die „außerhalb“ geboren wurden.
Diese Gedanken haben mir so oft traurige nachdenkliche Gefühle bereitet. Doch heute, nach 28 Jahren meines Lebens begreife ich wie dankbar ich dafür sein kann in Deutschland geboren zu sein. Frei zu sein. Ohne Krieg aufgewachsen zu sein. Einen Arzt aufsuchen zu können, wann immer ich ihn brauche. Meine Gedanken frei wählen zu dürfen, ja sogar aussprechen zu dürfen. Sein darf wer ich sein will.

Religion

Vor ein paar Jahren erfuhr ich, dass ich ein „gebürtiger Moslem“ sei.
„Dein Vater war Moslem. Deswegen bist du auch einer.“
Okay, das sagt die Theorie. Doch die Praxis sieht so aus, dass mein Bruder und ich getauft wurden. Seitdem ich denken kann bin ich Christin, römisch katholisch. Religiös erzogen wurden wir jedoch nicht. Und die Religion war auch ansonsten nie Thema. Die Wahl, ob ich getauft werden wollte oder nicht, die hatte ich nicht. Das wurde einfach so gemacht, weil das halt so gemacht wurde. Und für meinen Vater war das in Ordnung.
Mein einziger Religionsbezug begann in der Grundschule mit Kopfschmerzen. Denn die Lehrerin schrie den Unterrichtsinhalt förmlich aus sich heraus.  An Schultagen an denen ich keinen Reli hatte ging es mir sehr viel besser.
Erst im Laufe meines Lebens oder besser gesagt, immer wenn es mir schlecht ging, befasste ich mich mit der Bibel. Ich war 20 Jahre alt, als ich die Bibel in den Händen hielt und ich mich erstmals mit meiner Religion beschäftigen wollte.
Vor drei Jahren lernte ich einen Priester kennen, mit dem ich mich austauschen konnte. Eine Freundschaft entstand. Offen und ehrlich konnte ich Fragen stellen, Diskussionen führen, einen offenen Austausch erfahren. Ich betete. Das erste Mal so richtig. Jeden Abend. Und es ging mir besser. Die innere Unruhe wich und der langersehnte innere Frieden wuchs. Es ging mir besser und so kam es, dass die Abendgebete immer weniger wurden.
Doch nun sitze ich hier und überlege wie ich meine innere Ruhe wiederfinde. Mache mir Gedanken um meine Religion.

Ja, ich bin auf der Suche nach meinem Glauben.

Ich schäme mich gerade diese Worte zu schreiben, aber ich möchte ehrlich sein. Ob das Christentum die richtige Religion für mich ist, weiß ich nicht. An manchen Stellen fühlen sich die Worte und Ansichten der Bibel nicht vereinbar mit meinem Denken und meinen Gefühlen. Ein ungutes Gefühl entsteht. Einzig die Wunder, die Jesus vollbracht hat, sind diese, die mich glücklich machen. Und dann stelle ich mir die Frage:
Wie kann ich wissen, welche Religion die richtige für mich ist, wenn ich bloß das Christentum kenne?
Nun ist es sicher naheliegend, dass ich also die Religion meines Vaters kennenlernen möchte. Wenn ich daran denke, breitet sich in mir ein wundervolles Gefühl aus. Wie ein kleines Kind ging ich also in einen Buchladen. Zuvor stellte ich mir die Frage, ob die Übersetzung eines Korans nicht auch eine Interpretation sein könnte. Denn wie sollte eine wortgenaue Übersetzung Sinn ergeben? Ich fragte eine Freundin, welchen Übersetzer sie empfehlen würde und hatte danach eine genaue Vorstellung von wem der Koran übersetzt sein sollte.
In der Buchhandlung kam es dann etwas anders. Drei Varianten des Korans standen zur Auswahl, aber nicht der, den ich kaufen wollte. Also zog ich mich zurück und blätterte, verglich die Worte. Dann entschied ich mich nach Gefühl. So hielt ich meinen ersten Koran in der Hand. Im nächsten Café las ich die Einleitung. Dieser Koran enthält auch Erläuterungen, die ich zuvor erst gar nicht wollte. Denn ich wollte mir schließlich meine eigene Meinung machen und nicht zu sehr beeinflusst werden. Doch als ich dann die Erläuterungen las empfand ich sie als hilfreich. Ja ich bin über meinen ersten Koran sehr glücklich.
Nur wenige Tage später stand ich erneut in einem Buchladen. Automatisch zog es mich in den Religionsbereich und ich wurde sofort fündig:  „Das islamische Gebetsbuch“. Dieses kleine Minibüchlein zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Denn hier darf ich noch mehr Hintergründe und Abläufe verstehen lernen.

Und so lag ich gestern Abend in meinem Bett und blätterte in meinen neuen Büchern. Voller Vorfreude und dem Bewusstsein, dass ich gerade glücklich bin. Zwar für diesen Moment. Aber durch diesen Moment breitete sich innere Ruhe aus. Die langersehnte innere Ruhe für einen Augenblick. Dafür bin ich wirklich dankbar.

Montag, 7. März 2016

1:0 für den Tumor

Adenokarzinom. Bis vor 10Wochen wusste ich was Karzinome sind. Vom Hören. Und jetzt bin ich fast Spezialist aller Symptome, Therapien und Folgen dieser Erkrankung. Einfach so. Von Heut auf Morgen. Wirst du Fachmann. Dich fragt keiner ob du bereit bist. Sie schicken dich nach wochenlangem Warten mit einem Zettel nach Hause auf dem steht was du hast. Oder eine dir nahestehende Person. Was schlimmer ist will ich nicht beurteilen. Mit solch einem Zettel lief ich also herum. Nicht meine Diagnose. Sondern ich durfte jetzt erklären, was ein Adenokarzinom ist. Das ist wie ein Referat zu halten, nur ist es jemand der dir nahe steht. Warum gibt es kein Tutorial für sowas? "Wie erkläre ich meiner Oma, sie hat Magenkrebs und wird elendig verrecken." Oder "Mama, deine Mutter hat Krebs, sie muss operiert werden, auch wenns wahrscheinlich nichts mehr bringt." 
Über Smokeyeyes und Pancakes kann jeder ein Tutorial drehen. Aber Tumore? Irgendwie nicht. 
Es gibt ja diese Trauerphasen nach Yorick Spiegel. 1. Schockphase 2. kontrollierte Phase 3. Regessionsphase 4. Adaptionsphase. Es ist zwar (noch) keiner gestorben. Die Diagnose zu verkraften ist aber so ähnlich. Bzw verliert man in gewisser Weise - je nach Krebsart- seine Gesundheit, ein Organ, in unserem Falle Pankreas und Magen, damitverbundene Funktionen des Körpers und damit wieder dieser öde Alltag den man sich jahrelang aufgebaut hat. 
"Unsere" 1. & 2. Phase kamen in einem Rutsch und fast zusammen. Der Schock nach der Diagnose war noch nicht abgeklungen, schon musste 10Tage später operiert werden. Wie lebt es sich ohne Magen? Ich wusste nicht, dass man ohne Magen leben kann. War mir komplett neu. Aber Menschen leben jahrelang ohne Magen. Kleine Portionen jede 1-2h. Nichts Weltbewegendes. Wenn da dieser Tumor nicht wäre. Und eventuelle Metastasen. 
Aktuell befinden wir uns in der 3.Phase. Der Alltag mit dem Verlust. Immer wiederkehrende Anfälle von Agression und Depression. Warum hätte man nicht sterben können statt sich zu quälen? Womit hat man das verdient? Gibt es etwas schlimmeres als das eigene Schicksal? Agressionen gegen alles und jeden der helfen will, der zu Besuch kommt, gegen die Ärzte gegen die Welt. Gegen Gott. Fragen was man im Leben gemacht hat um sooo bestraft zu werden. Aber keiner sieht, dass wenn Gott es so gewollt hätte einem nie rechtzeitig diese "Diagnose" geschickt hätte. Dass einige froh wären, auch nur einen Tag mehr zu leben zu haben und früh genug Hilfe bekommen zu haben. Aber verständlich, dass sowas zweitrangig ist, wenn die Zeit an die Tür klopft.